Die Alchimische Hochzeit des Christian Rosenkreuz
Esoterische Analyseder Chymischen HochzeitChristiani Rosencreutz anno 1459von Jan van Rijckenborgh
Seine Berufung als Torhüter erfährt Christian Rosenkreuz am letzten der sieben Tage der Alchimischen Hochzeit. Lesen Sie hier den Urtext des Romans mit ausgewählten Kommentaren aus der esoterischen Analyse von Jan van Rijckenborgh und Links zu Artikeln.
Um dem Online-Leser die Orientierung zu erleichtern, wurden in den Urtext Zwischenüberschriften eingefügt.
Die Buchausgabe in zwei Bänden mit der vollständigen esoterischen Analyse ist erschienen bei:
Rozekruis Pers – Haarlem – Niederlande
Teil 1: Dritte, überarbeitete Ausgabe 1997
Teil 2: Zweite, überarbeitete Ausgabe 1991
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Siebenter Tag
Vor der Rückreise
Als ich nach acht Uhr erwachte und mich schnell angekleidet hatte, wollte ich mich wieder in den Turm begeben. Aber es gab so viele finstere Gänge in dem Wall und so vieles und so mancherlei, dass ich eine gute Weile in die Irre ging, ehe ich einen Ausgang fand. Das geschah anderen auch, bis wir im untersten Gewölbe wieder zusammentrafen. Dort wurden uns völlig gelbe Kutten zusammen mit unserem Goldenen Vlies gegeben. Dann sagte uns die Jungfrau, wir wären Ritter vom Goldenen Stein, was wir zuvor nicht wussten.
Nachdem wir uns nun also so fertiggemacht und das Frühstück eingenommen hatten, verehrte der alte Mann jedem von uns ein Goldstück. Auf der einen Seite standen die Worte AR. NAT. ML und auf der anderen Seite stand: TEM. NA. E. (Die Kunst ist die Dienerin der Natur. Die Natur ist die Tochter der Zeit.) Er ermahnte uns auch dabei, wir sollten niemals entgegen dieser Gedenkmünze handeln und uns auch nicht über sie erheben.
Fünfhundert Schiffe
Hiermit zogen wir zum Meer hinaus. Unsere Schiffe waren so kostbar eingerichtet, wie es nicht möglich gewesen wäre, wenn man die schönen Dinge nicht von weit her dahingebracht hätte. Es waren zwölf Schiffe, die sechs unsrigen und sechs vom alten Herrn. Der ließ seine Schiffe mit lauter gut ausgerüsteten Soldaten versehen. Er aber begab sich zu uns in unser Schiff, auf dem wir alle zusammen waren. Auf das erste Schiff gingen die Musikanten, von denen der alte Herr auch eine große Anzahl besass. Die fuhren vor uns her, um uns die Zeit zu vertreiben. Unsere Flaggen trugen die zwölf Himmelszeichen, und wir sassen in dem Schiff mit dem Zeichen der Waage. Außer anderen Dingen besass unser Schiff auch eine herrliche, schöne Uhr, die alle Minuten anzeigte. Das Meer war so still, dass es eine besondere Freude war zu fahren.
Über allem aber stand das Gespräch mit dem Alten. Er konnte uns die Zeit dermassen mit wunderlichen Geschichten vertreiben, dass ich mein Leben lang hätte mit ihm fahren mögen.
Unterdessen kamen die Schiffe sehr schnell voran, denn ehe wir zwei Stunden gefahren waren, sagte der Schiffsmann, er sähe bereits fast den ganzen See mit Schiffen bedeckt, dem man entnehmen konnte, dass man uns entgegenzog. Das stimmte auch, denn sobald wir vom Meer durch den erwähnten Fluss zu dem See kamen, hielten dort fast fünfhundert Schiffe, unter denen eins von lauter Gold und Edelsteinen schimmerte. Darin sassen der König und die Königin mit mehreren hochgeborenen Herren, Frauen und Jungfrauen.
Sobald man unserer ansichtig wurde, ließ man von beiden Seiten Kanonen abfeuern, und von den Posaunen, Trompeten und Trommeln erhob sich ein solcher Lärm, dass alle Schiffe auf dem See erzitterten. Sobald wir näher kamen, umringten sie alle unsere Schiffe und hielten an.
Alsbald trat auf Geheiss des Königs Atlas hervor und hielt eine kurze, aber schöne Ansprache, in der er uns willkommen hieß mit dem Wunsch, dass die königliche Gabe bereit sei.
Meine anderen Gefährten wunderten sich sehr darüber, wie dieser König auferstanden sei, denn sie meinten, sie müssten ihn noch wieder erwecken. Wir ließen sie bei ihrer Verwunderung und taten so, als wenn es auch uns seltsam dünkte. Nach der Ansprache des Atlas trat auch unser Alter hervor und antwortete etwas weitläufiger, in dem er dem König und der Königin alles Glück und Vermehrung wünschte und ein kleines, zierliches Kästchen übergab. Aber ich weiß nicht, was darin war. Es wurde Cupido, der zwischen den beiden umherflog, zum Aufbewahren gegeben.
Nach den Reden ließ man abermals Freudenschüsse abgeben. So fuhren wir eine gute Zeit zusammen weiter, bis wir endlich an ein anderes Ufer kamen. Dieses war nahe bei der ersten Pforte, durch die ich zuerst hineingekommen war. Auf diesem Platz wartete wieder eine große Menge königliches Hofgesinde mit einigen hundert Pferden. Sobald wir nun ans Land gestossen und ausgestiegen waren, boten uns der König und die Königin mit besonderer Freundlichkeit die Hand, und wir mussten uns auf die Pferde setzten.
König und König
Hier will ich den Leser freundlich bitten, er möge folgende Mitteilung nicht als Eigensucht oder Stolz deuten, und mir zutrauen, dass ich von dieser mir erzeigten Ehre wohl geschwiegen hätte, wenn es nicht wegen der besonderen Wichtigkeit erwähnt werden müsste.
Wir wurden alle nacheinander auf die Herren verteilt. Unser alter Herr aber und ich Unwürdiger mussten neben dem König reiten. Jeder von uns trug eine schneeweiße Fahne mit einem roten Kreuz. Und zwar wurde ich meines Alters wegen gebraucht, denn wir beide hatten lange graue Bärte und Haare. Meine Zeichen hatte ich auf dem Hut angeheftet, was der junge König bald wahrnahm und fragte, ob ich der wäre, der die Zeichen am Tor lösen konnte? Ich antwortete demütig: » Ja«. Er aber lachte über mich mit der Mitteilung, es bedürfe weiterhin keiner Höflichkeiten mehr, denn ich wäre sein Vater.
Darauf fragte er mich, womit ich sie eingelöst hätte. Ich antwortete: »Mit Wasser und Salz.« Da wunderte er sich darüber, wer mich so klug gemacht hätte. Darauf wurde ich etwas kecker und erzählte ihm, wie es mit meinem Brot, der Taube und dem Raben zugegangen war. Das gefiel ihm, und er sagte auch ausdrücklich, dass Gott mir dazu besonders viel Glück verliehen haben müsse.
Die Bittschrift des Torhüters
Damit kamen wir zur ersten Pforte, an welcher der Hüter mit dem blauen Gewand stand. Der trug in der Hand eine Bittschrift. Sobald er mich nun neben dem König erblickte, übergab er mir die Bittschrift mit der demütigen Bitte, ich möge seiner Treue mir gegenüber beim König gedenken. Nun fragte ich den König zuerst, wie es mit diesem Hüter bestellt sei. Der antwortete mir freundlich, es wäre ein berühmter, trefflicher Astrologe, der bei seinem Vater stets in hohem Ansehen gestanden hätte. Nun aber habe er sich seinerzeit gegen Frau Venus versündigt und sie auf ihrem Ruhebett angesehen. Deshalb sei ihm diese Strafe auferlegt worden, dass er solange das Tor hüten müsse, bis ihn jemand davon erlösen würde. Ich fragte, ob er denn auch zu erlösen wäre.
Der König sprach: »Ja, sobald jemand gefunden wird, der sich ebenso stark versündigt hat wie er, muss dieser an seiner Stelle stehen, und er ist frei.« Diese Worte gingen mir sehr zu Herzen, denn mein Gewissen sagte mir, dass ich der Täter war. Ich schwieg jedoch und übergab die Bittschrift. Sobald der König diese gelesen, erschrak er heftig, so dass es auch die Königin merkte, die mit ihren Jungfrauen und einer anderen Königin, die ich vorher beim Aufhängen der Gewichte erwähnte, hinter uns ritt. Sie fragte ihn daher, was dieser Brief zu bedeuten habe. Er aber wollte sich nichts anmerken lassen, sondern nahm den Brief an sich und begann von anderen Dingen zu reden, bis wir genau um drei Uhr in das Schloss gelangten.
Als wir abgestiegen waren und den König in seinen bereits beschriebenen Saal gebracht hatten, forderte der König sofort den alten Atlas zu sich in ein kleines Gemach und zeigte ihm den Brief. Der säumte nicht lange und ritt wieder zum Hüter hinaus, um die Sache zu klären. Hierauf setzten sich der junge König mit seiner Gemahlin und den anderen Herren, Frauen und Jungfrauen. Da begann unsere Jungfrau unseren Fleiss, die gehabte Mühe und Arbeit hoch zu rühmen mit der Bitte, uns königlich zu belohnen, sie aber weiterhin ihre Vermittlungsaufgabe ausführen zu lassen.
Dann stand auch der alte Herr auf und bezeugte, dass alles, was die Jungfrau gesagt habe, wahr und es deshalb billig sei, dass wir zu beiden Teilen zufriedengestellt würden. Darauf mussten wir ein wenig zurücktreten. Es wurde beschlossen, jedem einen möglichen Wunsch zu gewähren, denn es wäre nicht daran zu zweifeln, dass der Verständige auch den besten Wunsch vorbringen werde. Darauf sollten wir uns bis nach dem Nachtessen besinnen.
Inzwischen begannen der König und die Königin zur Kurzweil ein Spiel miteinander, das einem 'Schachspiel ähnlich war, aber es hatte andere Regeln. Es kämpften Tugend und Laster gegeneinander. Daran konnte man gut erkennen, mit welchen Praktiken die Laster der Tugend nachstellen und wie man sich dagegen wehren kann. Das ging so fein und kunstvoll zu, dass zu wünschen wäre, wir hätten auch ein solches Spiel.
Die Ritter vom Goldenen Stein
Währenddessen kam Atlas zurück und erstattete seinen Bericht sehr geheim. Mir brach der Schweiß aus allen Poren, denn mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Hierauf gebot mir der König, die Bittschrift selbst zu lesen, und der Inhalt war ungefähr so:
Zuerst wünschte er dem König Glück und Vermehrung und dass sein Same weit ausgebreitet werde. Darauf schrieb er, dass nun der Tag erfüllt wäre, da er nach der königlichen Zusage befreit werden solle. Denn Venus sei bereits von einem seiner Gäste aufgedeckt worden. Seine Beobachtungen könnten ihn nicht trügen. Wenn seine Majestät nur scharf und fleißig untersuche, würde er finden, dass seine Entdeckung wahr sei. Sollte es nicht so sein, wolle er sein Leben lang bei der Pforte bleiben. Dann bat er demütig, man wolle ihn bei Gefahr für Leib und Leben bei dem heutigen Nachtessen dabei sein lassen, dann könne er hoffentlich den Täter selbst erspähen und so die gewünschte Befreiung erlangen.
Das war ausführlich und geschickt geschrieben, und ich konnte seine Intelligenz wohl daran erkennen, aber es war mir zu scharf, und ich wünschte, ich hätte es nie gesehen. Nun meinte ich, dass ihm vielleicht durch meinen Wunsch geholfen werden könne. Daher fragte ich den König, ob er nicht noch auf eine andere Weise frei werden könnte. » Nein,« antwortete der König, »diese Dinge haben eine besondere Behandlung nötig. Wir können seine Bitte in dieser Nacht jedoch wohl gewähren.« Er schickte also jemanden hinaus, um ihn zu holen.
Unterdessen wurden die Tafeln in einem Saal gedeckt, in dem wir vorher noch nie gewesen waren. Der war so prächtig in seiner Art, dass es mir nicht möglich ist, es zu beschreiben. In diesen Saal wurden wir mit besonderem Pomp und vielen Zeremonien geführt. Cupido war dieses Mal nicht anwesend; denn wie mir es berichtet wurde, hatte der Schimpf, der seiner Mutter angetan worden war, ihn erzürnt. Meine Tat und die übergebene Bittschrift waren also Ursache für viel Traurigkeit. Der König hatte Bedenken, seine Gäste zu befragen, größtenteils deshalb, weil es dann auch jene erfahren würden, die es noch nicht wussten. Er hieß daher den Hüter, der bereits angekommen war, scharf aufpassen und stellte sich so fröhlich wie er nur konnte.
Schiesslich begann man doch wieder lustiger zu werden und sich mit allerlei kurzweiligen und nützlichen Gesprächen zu unterhalten. Wie nun die Bewirtung und die Zeremonien dabei waren, ist unnötig zu sagen, weil es dem Leser nichts nützt und meinem Vorhaben nicht dient. Alles zeugte jedoch mehr von Kunst und menschlicher Geschicklichkeit, als wenn wir mit Trinken belastet worden wären. dieses war des letzte und herrlichste Mahl, bei welchem ich dabei war.
Nach dem Bankett wurden Tafeln aufgehoben und einige schöne Sessel im Kreis aufgestellt, in die wir uns samt dem König, der Königin, den beiden Alten, den Frauen und Jungfrauen setzen mussten. Hierauf öffnete ein schöner Jüngling das bereits erwähnte herrliche Buch, dann stellte sich Atlas in die Mitte und fing an, wie folgt zu uns zu sprechen:
«Seine Königliche Majestät hat noch nicht vergessen, wie Ihr an ihm gehandelt und wie fleißig Ihr Eures Amtes gewaltet habt. Darum hat er Euch alle zu Rittern vom Goldenen Stein erwählt. Daher ist es nötig, dass Ihr Euch nachher nicht nur der Königlichen Majestät gegenüber verpflichtet, sondern auch folgende Artikel gelobt. Dann wird Seine Königliche Majestät abermals wissen, wie sie sich ihren Bundesgenossen gegenüber verhalten soll.»
Hierauf ließ er den Jüngling die Artikel vorlesen. Sie lauteten:
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- Ihr Herren Ritter sollt schwören, dass Ihr Euren Orden keinem Teufel oder Geist, sondern allein Gott, Eurem Schöpfer und Seiner Dienerin, der Natur, jederzeit zuschreiben wollt;
- dass Euch alle Hurerei, Unzucht und Unreinheit verhasst sei und Ihr mit solchen Lastern Euren Orden nicht besudeln werden;
Das Ordensgesetz der Ritter vom Goldenen Stein - dass Ihr mit Euren Gaben, jedem, der es wert ist und der ihrer bedarf, zu Hilfe kommen wollt;
- dass Ihr solche Ehre nicht begehrt zu weltlicher Pracht und hohem Ansehen;
- dass Ihr nicht länger leben wollt, als Gott es haben will.
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Über diesen letzten Artikel mussten wir sehr lachen, er mag vielleicht auch nur zum Spaß hinzugesetzt worden sein. Wie es nun auch sei, wir mussten es bei des Königs Zepter geloben. Hierauf wurden wir mit der üblichen Feierlichkeit zu Rittern geschlagen und außer anderen Privilegien über Unwissenheit, Armut und Krankheit gestellt, um mit denselben nach unserem Gutdünken zu verfahren.
Danach wurde alles in einer kleinen Kapelle – zu der wir alle in einer Prozession geführt wurden -- bestätigt. Gott sei dafür gedankt! Dort habe ich dann Gott zu Ehren mein Goldenes Vlies und meinen Hut aufgehängt und zum ewigen Gedenken dort gelassen. Und da jeder seinen Namen schreiben musste, schrieb ich:
Summa scientia nihil scire
Fr. CHRISTIANUS ROSENCREUTZ
Eques aurei Lapidis:
Anno 1459. Die Summe allen Wissens ist, nichts zu wissen. Bruder Christian Rosenkreuz, Ritter vom Goldenen Stein: im Jahre 1459
Die anderen schrieben etwas anderes, und zwar jeder, was ihn gut dünkte. Hierauf wurden wir wieder in den Saal gebracht und setzten uns. Wir wurden auch ermahnt, wir sollten uns schnell besinnen, was wir wünschen wollten.
Bekenntnis und Urteil
Der König aber hatte sich mit den Seinen in das kleine Gemach begeben, um unsere Wünsche anzuhören. Nun wurde jeder besonders hineingebeten, so dass ich von keinem einzigen Wunsch etwas sagen kann. Ich dachte, es gäbe nichts Löblicheres, dann wenn ich meinem Orden zu Ehren eine lobenswerte Tugend erkennen ließe. Außerdem stellte ich fest. dass keine Tugend jemals rühmlicher war und mit schwerer fiel als die Dankbarkeit. Obwohl ich mir etwas anderes lieber gewünscht hätte, überwand ich mich selbst und beschloss, auch unter Gefahr für mich, den Hüter, meinen Wohltäter zu befreien.
Als ich nun hineingebeten wurde, fragte man mich zuerst, weil ich die Bittschrift gelesen hatte, ob ich nicht den Täter erkannt oder einen Argwohn hätte. Darauf begann ich, unerschrocken zu berichten, wie die Dinge gelaufen waren und dass ich aus Unverstand dahineingeraten war. Ich erbot mich, alles auf mich zu nehmen, was ich damit verwirkt hätte. Der König und die anderen Herren wunderten sich sehr über dieses unverhoffte Bekenntnis und baten mich, hinauszugehen.
Sobald ich wieder hineingerufen wurde, sagte Atlas zu mir: Es wäre für Seine Königliche Majestät schmerzlich, dass ich, den sie vor allen anderen geliebt hätte, in einen solchen Unfall geraten wäre. Da es ihr aber nicht möglich sei, ihre alten Gesetze zu übergehen, wüsste sie mich nicht anders von der Schuld zu befreien, als dass jener frei und ich an seiner Stelle stehen müsse. Sie wolle hoffen, dass sich bald ein anderer versündigen würde, damit ich wieder freikommen könne. Allerdings wäre eine Befreiung nicht vor der Hochzeit seines künftigen Sohnes zu erhoffen.
Dieses Urteil hätte mich fast ums Leben gebracht, und ich war mir zuerst meines geschwätzigen Maules wegen feind, das nicht schweigen konnte. Schließlich fasste ich Mut, und weil ich meinte, es müsste nun einmal so sein, berichtete ich, dass mir dieser Hüter ein Zeichen geschenkt und mich bei dem anderen Hüter empfohlen hätte. Durch diese Hilfe konnte ich auf der Waage bestehen und also all der erhaltenen Ehre und Freude teilhaftig werden. Daher gebühre es sich, dass ich mich meinem Wohltäter gegenüber dankbar erwies. Und weil es nicht anders sein könnte, bedankte ich mich für das Urteil und wollte dem zuliebe, der mir zu solcher Würde behilflich gewesen war, etwas mir Unangenehmes tun. Wenn aber mit meinem Wunsch etwas auszurichten wäre, so wünschte ich mich also wieder heim. Dann wäre also dieser durch mich, ich aber durch meinen Wunsch frei.
Nun wurde geantwortet, dass sich das Wünschen nicht so weit erstrecke, sonst hätte ich ihn wohl frei wünschen können. Es gefiele jedoch Seiner Königlichen Majestät wohl, dass ich mich so gut darein füge. Sie fürchte aber, dass ich noch nicht wüsste, in welchen elenden Zustand ich mich durch solche Neugier gebracht hätte. Darauf wurde der gute Mann freigesprochen, und ich musste mit traurigem Herzen abtreten.
Der Torhüter
Nach mir wurden auch die anderen aufgerufen. Sie kamen alle fröhlich heraus, was mir noch schmerzlicher war, denn ich dachte, ich müsste mein Leben an der Pforte beschließen.
Ich überlegte hin und her, was ich anfangen und womit ich die Zeit zubringen wollte. Schließlich dachte ich daran, dass ich schon alt wäre und natürlicherweise nur noch wenige Jahre zu leben hätte. Auch würde dieser Kummer und das melancholische Leben mich bald töten, dann wäre mein Torhüten vor-über. Auch könnte ich mich vielleicht durch seliges Schlafen bald ins Grab bringen. Solche Gedanken hatte ich.
Zuweilen verdross es mich, dass ich so schöne Dinge gesehen hatte und derer nun beraubt wurde. Dann wieder freute ich mich, dass ich vor meinem Ende alle Freuden erlebt hatte und nicht so schändlich abziehen musste. Dieses war also der letzte und schwerste Stoss, den ich erlitt.
Während ich so dachte, waren die anderen fertig geworden und wurden, nachdem ihnen vom König und den Herren eine gute Nacht gewünscht worden war, in ihre Gemächer geführt.
Ich armer Mann aber hatte keinen, der mir den Weg zeigte, und ich musste mich außerdem auch noch necken lassen. Und damit ich mir meiner künftigen Funktion bewusst wäre, musste ich den Ring, den jener vorher getragen hatte, aufstecken.
Schließlich ermahnte mich der König, den ich jetzt das letzte Mal in solcher Gestalt sah, ich solle mich doch meinem Beruf gemäß verhalten und nicht gegen die Regeln des Ordens verstossen. Darauf nahm er mich in den Arm und küsste mich, was ich alles so verstand, dass ich morgen an meinem Tor sitzen müsste.
Nachdem sie nun alle noch eine Weile freundlich mit mir geredet, mir schließlich die Hand geboten und mich göttlichem Schutz anbefohlen hatten, wurde ich von den beiden Alten, dem Herrn des Turms und dem Atlas, in ein herrliches Gemach geführt, in dem drei Betten standen, und jeder legte sich in eins. Da brachten wir noch fast zwei...
Hier fehlen ungefähr zwei Quartseiten, und er, der Autor, der meinte, er müsste morgens Torhüter sein, ist heimgekehrt.
Kommentar 44: Die Arbeit ist noch nicht beendet
Darum sagen wir Ihnen nachdrücklich: die Arbeit Gottes mit unserer Menschheit, die in der Sprache der Genesis bis zum Sechsten Tag fortgeschritten ist, ist noch nicht beendet. Unsere Menschheit ist noch im Werden. Der Siebte Schöpfungstag, der Tag der Erfüllung, der große Tag Gottes, beginnt erst, sobald ein Mensch mit seinem Seelenbau angefangen hat. Darum geht es! Wie Ihr Dasein hier in der Materie verläuft, ist in diesem Licht betrachtet, eine Nebensächlichkeit. Besitzen Sie Seelenkraft, Seelenwerte? Darum geht es! Wer Seelenwerte besitzt, braucht nicht mehr besorgt zu sein; denn »wer die Seele gewinnt, gewinnt das All«. Wer die Seele baut, baut an der Ewigkeit. Und das ist mit keiner Herrlichkeit der Welt zu vergleichen. Ist es denn keine Seligkeit, dass diese Morgenstunde nun am Horizont des Lebens erschienen ist?
Wir bringen Ihnen keine seltsame, jämmerliche Botschaft kommenden Unheils, wie: »Die Tage des Endes sind erschienen, und alles geht zugrunde«. Nein, Ihnen, suchender Mensch, der Sie sich nach befreiender Erlösung sehnen, sagen wir: die Seligkeit der Veränderung, die Seligkeit der Erneuerung ist die Kraft, die Morgenstunde, die am Horizont des Lebens erschienen ist. Die gesamte großartige und herrliche Arbeit der Bruderschaft des Rosenkreuzes geht in dieser Gewissheit auf. (Jan van Rijckenborgh)