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Die Geschichte der Katharer II

In der Zeit drohender Kirchenspaltung wurde das Auftreten der Katharer als existenzielle Bedrohung wahrgenommen.

Was haben die Katharer gepredigt, und warum wurde ihre christliche Botschaft von der römischen Inquisition verfolgt?

Die Botschaft der Katharer ist offenkundig evangelisch. Ihre Wurzeln sind in der christlichen, europäischen Mentalität fest verankert – besonders in Okzitanien und Italien, der Wiege des westlichen Mittelmeers. Es ist das Gebiet, in dem im 12. bis 14. Jahrhundert auch das Erbe des zivilisatorischen und künstlerischen Geistes der Römer und Griechen lebendig war.

Angesichts der reichen westlichen Tradition ist es fragwürdig zu behaupten, dass der Katharismus aus Osteuropa kam, dass seine Häresie durch die Kreuzzüge und den Handel der Länder östlich des Mittelmeers eingeführt wurde, wie es die Theologen jener Zeit vertraten. Es sei daran erinnert, dass sich zu jener Zeit die Trennung der römischen von der orientalischen Kirche anbahnte, das morgenländische Schisma, und dass Rom die "Reinheit seiner Herkunft“ zeigen musste. Insofern war es ein Leichtes zu behaupten, alles Schlechte käme aus dem Osten, um die eigene Legitimität zu bekräftigen.

Die katharische Lehre wurzelt in der westeuropäischen Tradition

Die Behauptung von Papst Innozenz III und zahlreicher anderer Theologen jener Zeit, nach welcher der Katharismus eine aus dem Osten importierte Bewegung sei, die wie ein boshaftes Geschwür in den heiligen Körper des Westens eingepflanzt wurde, muss vor diesem Hintergrund differenziert und kritisch betrachtet werden.

Zum Beispiel weiß man heute, dass das Neue Okzitanische Testament, das bis heute in Lyon erhalten blieb und das Ritual des Konsolamentum enthält, aus alten spanischen Bibeln und von westgotischen Katalanen stammte, deren Tradition wesentlich toleranter war als die römisch-orthodoxe. In einigen dieser Bibeln, die bis heute erhalten sind, sind die Prinzipien der priszillianistischen Häresie zu finden. (1)

Die Ablehnung der von der katholischen Kirche eingeführten Sakramente gründete sich auch auf den Rationalismus zahlreicher gebildeter Geistlicher, die die Dogmen der Kirche ablehnten, da sie nicht im Evangelium standen. Von Priszillian von Avila (4. Jahrhundert) bis zu Béranger von Tours (11. Jahrhundert) ist eine wichtige Tradition in Erscheinung getreten, die sich den Sakramenten widersetzte.

Auch eine Ablehnung von Bildern und Statuen ist festzustellen, wie im Falle von Claude von Turin, Jünger des Félix von Urgell (Pyrenäen), der mit Elipando von Toledo als adoptianistischer (2) Häretiker beschuldigt wurde.

So hat sich der Katharismus als bedeutsam erwiesen – nicht nur, weil er die Lehre dieser apostolischen Tradition in die evangelische einzugliedern wusste, sondern vor allem, weil er der Gesamtheit der Gesellschaft ein machtvolles Bild wahren Christentums übertragen konnte.

Das Leben der Katharer war ein lebendiges Vorbild für christliches Leben

Tatsächlich akzeptieren die neuesten Studien die Theorie, nach der die wahren Katharer, diejenigen also, die man "Bons hommes“ oder "Gute Menschen“  nannte, in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachten, während die Masse der Menschen immer noch eher "Gläubige“ waren, die den Predigten dieser "guten Leute“ glaubten und der katholischen Kirche und ihren Institutionen gegenüber eine kritische Haltung einnahmen.

Das wäre nicht geschehen, wenn die Katharer eine kleine, sonderliche Gruppe gewesen wären, die sich von der Gesellschaft distanziert hätte wie Aussätzige, so wie es von der Kirche beschrieben wurde, insbesondere von den Zisterziensermönchen und später von den Dominikanern.

Ganz im Gegenteil waren die katharischen Perfekten vollkommen integriert, und ihr Leben war der Bevölkerung ein lebendiges Vorbild, dem sie folgen konnten. Sie arbeiteten als Kaufleute, Weber, Privatlehrer von Kindern der Adligen. Ihre okzitanischen "Ostals“ (okzitanisches Wort für Herberge) waren durchgehend geöffnet. Es waren Häuser, die Pilger oder Kranke aufnahmen, wo man das Lesen lehrte oder Aktivitäten, die notwendig waren, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Direkter Zugang zur evangelischen Botschaft durch Übersetzung

Um ihre evangelische Botschaft an die Bevölkerung weiterzugeben, übersetzten Katharer die heiligen lateinischen Texte, wie es auch die Waldenser (3) taten. Ihre Absicht war, jedem direkt und ohne Vermittler das Lesen des Wortes Gottes zu ermöglichen.
Es sei daran erinnert, dass das Verbot der Übersetzung der heiligen Texte eine der ersten Maßnahmen der Inquisition war, um gegen die häretische "Lasterhaftigkeit“ zu kämpfen.

Die Katharer waren auch die ersten Christen, die ihr Geld den Gläubigen liehen, die es brauchten, so wie es beispielsweise das Dokument eines Kaufmanns aus Palencia in Kastilien bestätigt, der in seinem Geständnis vor dem Papst erklärt, von den Häretikern Geld erhalten zu haben. Später hinderte auch sein Wunsch nach Armut den aus dieser Region stammenden, franziskanischen "Spiritualisten“ Pere Joan Olivi nicht daran, einer der Ersten zu sein, der über die "kapitalistische Wirtschaft“ schrieb.

All diese Arbeit wurde von den Katharern mit Demut und Bescheidenheit getan, ohne Protzerei oder Gier nach Reichtum und Macht, sondern um anderen zu helfen, solange sie konnten, und um "die frohe Botschaft“ zu verkünden. Sie hatten zur Maxime "anderen nichts anzutun, von dem sie nicht wollten, dass man es ihnen selber antut“, so wie das okzitanische Konsolamentum es andeutet.

Der Erfolg der Katharer bei den Gläubigen provozierte die römische Kirche

Es war ohne Zweifel der Erfolg dieser Lehren beim Volk im Languedoc und seines ganzen Einflussbereiches, vor allem in katalanischen und italienischen Regionen, der eine radikale Reaktion der katholischen Kirche provozierte: den Albigenser-Kreuzzug.

Durch die Schaffung der Inquisition wurde die gesamte Region verwüstet. Sie wütete so lange, bis alle von der römischen Institution abtrünnigen Stimmen ausgelöscht waren. Es ist bemerkenswert, dass die Inquisition zunächst in Toulouse und dann sehr schnell in Katalonien eingerichtet wurde.

Bei ihrem Kampf gegen die Abtrünnigkeit der Gläubigen aus dem Languedoc stieß die römische Kirche auf zahlreiche Schwierigkeiten. Das lag nicht nur daran, dass das Volk und der Adel die Katharer unterstützten, sondern Grund war auch der exzessiv luxuriöse Lebenswandel der katholischen Prälaten, die unabhängig von der Bevormundung aus Rom waren.

Deshalb kam im 13. Jahrhundert eine neue Strategie zum Einsatz:
Das war die Geburtsstunde der katholischen Bettelorden.

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(1) Priszillian war ein spanischer Asket, der die Bewegung des Priszillianismus gründete und als Häretiker von der Kirche verurteilt wurde. Ungeachtet seiner wenig orthodoxen Ansichten, die offenbar vom Gnostizismus und manichäischen Dualismus beeinflusst waren, wurde er 380 Bischof in Avila, später jedoch der Hexerei schuldig gesprochen und exekutiert. Der Priszillianismus hielt sich in Spanien bis zum 6. Jahrhundert.

(2) "Adoptianismus bezeichnet eine theologische Lehre, die dem Nestorianismus nahe steht. Demnach sei Jesus Christus nur ein Mensch gewesen, der von Gott gleichsam adoptiert wurde. Diese Lehre war Anlass der Synoden in Ratisbon (792), in Frankfurt (794) und in Aix-la-Chapelle (799), die den Adoptianismus als Häresie verurteilten.” Quelle: Enzyklo.de

(3) Die Waldenser sind eine protestantische Kirche, die Ende des 12. Jahrhunderts durch den Lyoner Kaufmann Petrus Valdes in Südfrankreich gegründet wurde. Die Waldenser wurden während des Mittelalters von der katholischen Inquisition als eine der bedeutendsten Gruppen sogenannter Häretiker verfolgt.
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Die neuen Bettelorden
Dazu mehr im Teil 3 dieser Artikelreihe:
Die Geschichte der Katharer, Teil 3

Das Ziel der Katharer
Dazu mehr im Teil 1 dieser Artikelreihe:
Die Geschichte der Katharer, Teil 1