Hier lesen Sie die Originaltexte der Kapitel 1 bis 3 aus dem Tao Teh King von Lao Tse mit einigen ausgewählen Kommentaren von Jan van Rijckenborgh und Catharose de Petri. Die vollständigen Kommentare sind in der Buchausgabe enthalten, erschienen im DRP Rosenkreuz Verlag
Vorwort zur Buchausgabe
Seit Tao Teh King, das klassische Werk des chinesischen Weisen, der bereits seit Jahrhunderten unter dem Namen Lao Tse bekannt war, im Jahr 1823 in der westlichen Welt durch die erste, teilweise Übersetzung des Franzosen Abel Rémusat bekannt wurde, ist ein nahezu unübersehbarer Strom von Übersetzungen, Erklärungen und Kommentaren erschienen. Die Autoren bemühten sich, jeder auf seine Weise, dieses kurze, jedoch sehr tiefsinnige Werk dem Verständnis des westlichen Menschen nahe zu bringen. Soweit wir wissen, wurde jedoch noch niemals ein Kommentar publiziert, in dem Tao Teh King wie in dem vorliegenden Werk als eine gnostische Schrift gesehen und daher auch auf gnostische Weise beleuchtet wird. Das erklärt auch den Titel: Die chinesische Gnosis.
Was ist Gnosis? »Ursprünglich war die Gnosis die Zusammenfassung der Urweisheit, der Inbegriff aller Erkenntnis, welche unmittelbar auf das ursprüngliche, göttliche Leben einer wahrhaft unirdischen, göttlichen menschlichen Lebenswelle hinwies. Die Hierophanten der Gnosis waren und sind noch immer die Abgesandten des Unbeweglichen Königreiches, welche einer verlorenen Menschheit die göttliche Weisheit brachten und denen, die als verlorene Söhne in das ursprüngliche Vaterland zurückkehren wollten, den einzigen Weg wiesen.«
Aus dieser Umschreibung wird klar, dass die wahre Gnosis, die ursprüngliche Kenntnis Gottes, die dem Menschen Zugang verschafft zu dem Weg, der zur Erlösung führt, sich niemals auf ein bestimmtes Land oder ein bestimmtes Volk beschränkt hat, was, besonders in unserer Zeit, überall verkündet wird. Im Gegenteil, die Gnosis ist universell und will die gesamte Menschheit umfassen. So wird sie auch überall in der Welt, wo die Botschafter des Lichtes wirkten und wirken, zur Offenbarung gebracht.
Das geschah nicht allein in Ländern wie Ägypten, Vorderindien und Palästina, sondern in der fernen Vergangenheit auch im China des Lao Tse, und zwar durch Tao Teh King. Diesem Werk wird auch in dem China unserer Tage noch immer mit großer Ehrerbietung begegnet.
Die im Tao Teh King enthaltene Weisheit ist in unserer Zeit vielleicht noch aktueller als zu Zeiten Lao Tse's. Man lese zum Beispiel im Kapitel 31:
Die besten Waffen sind Instrumente des Unheils.
Sie, die Tao besitzen, halten sich damit nicht auf.
Den Fluch des Lebens zu erfahren, ist allen bewusst, die im zwanzigsten Jahrhundert leben. Aber je mehr sich das Leben in Fluch verwandelt, desto mehr klammert man sich anscheinend leider daran fest, und desto mehr will man den gewünschten Segen erzwingen, natürlich selbstverständlich ohne jedes Resultat. Der Segen zieht vorüber wie ein Schiff in dunkler Nacht, weil das Wesentliche der Universellen Lehre nicht erkannt wird und daher das rechte Handeln nicht erfolgen kann. Darum sagte der Weise vor zweitausendfünfhundert Jahren:
Meiner Lehre Sinn ist einfach gesagt,
mein Handeln streng an diesen Sinn gebunden,
doch vom Menschen vielseitig ausgelegt,
ist sie wie ein Knäuel um den Kern gewunden.
Ist es nicht so, dass viele die eine einfache Kernwahrheit, den Schlüssel zum wahren Leben in einem Knäuel der Scheinweisheit und Geschäftigkeit verbergen? Aber Lao Tse sagt:
Doch ich, der ich den Weg weiß im Labyrinth,
lass mich durch Irrlichter nicht verleiten.
Ich halte den Faden, der mich mit dem Kern verbindet,
sehe ruhig zu, wo andere zwecklos streiten.
Will keine Rolle auf Weltprahlbühnen spielen.
Daher erscheine nichtig ich den eitlen Menschen,
die alle jagen nach einem Teil des Vielen.
Mein ist das All, was sollte ich noch wünschen?
Das Werk Tao Teh King, vor das wir Sie stellen dürfen, kann mit Recht als chinesische Bibel bezeichnet werden. Der Autor zeigt dieselbe Signatur wie alle großen Lehrer der Menschheit. Das ganze Leben Lao Tses ist in Nebel gehüllt. Einige leugnen seine Existenz überhaupt, andere verteidigen sie heftig. Es ist genau dieselbe Geschichte wie bei Buddha, Jesus dem Herrn und Hermes Trismegistos.
Wir dürfen annehmen, dass diese heilige Schrift sehr wenig oder gar nicht geschändet ist. Die Ursache dafür ist, dass nur sehr wenige Tao Teh King in chinesischer Sprache verstehen konnten. Es ist kompakt und sehr verschleiert geschrieben und besteht nur aus 81 Sprüchen oder Lehren.
Wir geben Ihnen hier keine buchstäbliche Übersetzung, sondern eine Umschreibung, denn wir sind keine Sinologen. Übrigens muss gesagt werden, dass alle Sinologen untereinander sehr uneinig sind, und es gibt keine zwei gleichlautenden Übersetzungen des Titels und des Textes. Wir folgen ungefähr dem Text von Henri Borel.
»Tao Teh King« ist in Europa noch nicht lange, höchstens zweihundert Jahre bekannt.
1823 erschien in Frankreich die erste Übersetzung, und seither wurden viele Bücher über das Werk Tao Teh King geschrieben.
Lesen Sie auf der nächsten Seite:
Das erste Kapitel des Tao Teh King – Warum Tao nicht gesagt werden kann.
Kapitel 1
Könnte Tao gesagt werden, dann wäre es nicht das ewige Tao.
Könnte der Name genannt werden, wäre es nicht der ewige Name.
Als Nicht-Sein kann der Grund der All-Offenbarung angedeutet werden.
Als Sein ist es die Mutter aller Dinge.
Wenn daher das Herz fortwährend nicht-ist, das heißt,
frei von allen irdischen Ausrichtungen und Begierden,
kann man das Mysterium der spirituellen Essenz Taos anschauen.
Wenn das Herz fortwährend ist,
erfüllt von Begierden und irdischer Ausrichtung,
kann man nur begrenzte, endliche Formen sehen.
Beide, Sein und Nicht-Sein, entspringen dem gleichen Quell,
haben jedoch verschiedene Wirkungen und Ziele.
Beide sind vom Mysterium erfüllt,
und dieses Mysterium ist die Pforte des Lebens.
Lesen Sie auf der nächsen Seite:
Kapitel 2 des Tao Teh King – Die Methode des Wu-Wei
Kapitel 2
Weil alle unter dem Himmel behaupten,
dass schön schön ist, kommt das Hässliche an den Tag.
Alle meinen, so gut zu wissen, dass gut gut ist,
dass das Schlechte an den Tag kommt.
Sein und Nicht-Sein gebären sich gegenseitig.
Mühselig und bequem bringen einander hervor.
Lang und kurz verursachen wechselseitig
die Unterschiede in der Form.
Hoch und niedrig bringen
ihre gegenseitige Ungleichheit hervor.
Der Ton und die Stimme
harmonieren wechselseitig miteinander.
Vorher und nachher folgen aufeinander.
Darum hält sich der Weise an das Nicht-Tun;
er übt die Lehre aus ohne Worte.
Wenn das Werk vollbracht ist,
klammert er sich nicht daran,
und gerade weil er sich nicht daran klammert,
verlässt es ihn nicht.
Lesen Sie auf der nächsten Seite:
Kapitel 3 des Tao Teh King – Über Ruhm und Ehre
Kapitel 3
Mach kein Aufheben von der Ehrwürdigkeit,
dann wird das Volk nicht streiten.
Lege keinen großen Wert
auf mühsam zu erwerbende Güter,
dann wird das Volk nicht stehlen.
Sieh nicht auf Begehrenswertes,
dann wird das Herz des Volkes
nicht in Verwirrung geraten.
Daher regiert der Weise,
indem er die Herzen von der Begierde befreit,
für ausreichende Nahrung sorgt,
die schlechten Neigungen abschwächt
und das Knochengerüst stärkt.
Er sorgt fortwährend dafür,
dass das Volk nichts weiß und keine Begierden hat.
Wenn das nicht ganz gelingt, sorgt er dafür,
dass jene, die wohl wissen, nicht zu handeln wagen.
Er steht im Wu-Wei, und es gibt nichts,
worin er nicht gut regiert.
Kommentar zum 1. Kapitel: Der Zustand des Nichtseins
Das Herz muss im Zustand des Nicht-Seins existieren. Wenn es ist, dann ist das Herz von tausendundeiner Sorge, von Verlangen und Beschäftigungen der gewöhnlichen Natur erfüllt. So wie das Haupt fortwährend von Gedanken bewegt wird, so ist das Herz angefüllt mit vielen Gefühlen und Begierden. ...
Das Nichtsein ist der Grund der All-Offenbarung; das Sein ist die Mutter aller Dinge. Das Nicht-Sein bedeutet nicht: Nicht bestehen oder absolut nicht sein, sondern es ist der absolute ursprüngliche Zustand, die ursprüngliche, unsterbliche Herrlichkeit. Es geht um ein Neu-Sein in diesem ursprünglichen Zustand des Unbeweglichen Königreiches Gottes.